Carretera Austral

Die Sonne strahlt mit voller Kraft, als wir die Grenze nach Chile überqueren. Die letzten Kilometer bis nach Chile Chico, einem kleinen Ort, der direkt am Lago Carrera General liegt, legen wir ebenfalls mit dem französischen Campervan zurück und dem Paar, dass uns bereits gestern mitgenommen hatte. Im Ort angekommen verabschieden wir uns von den Beiden und suchen uns einen netten Zeltplatz in Seenähe. Sofort fällt uns auf, dass Chile deutlich teurer als sein östlicher Nachbar Argentinien ist.

Der Tag ist dennoch nicht gelaufen, denn wir müssen nach den windigen Wochen in Argentinien, ein paar Abnutzungserscheinungen an unserem Zelt reparieren lassen. Eine Schneiderei zu finden, sollte allerdings interessant werden.

Zuerst fragen wir am Campingplatz nach, doch dort werden wir an die nahegelegene Touristeninformation verwiesen. Dort beginnt der Telefonmarathon: Es wird eine Freundin über Messenger kontaktiert, weil die Dame im Büro ihre Nummer nicht hat. Wenig später wird sie zurückgerufen um ihr die Nummer einer Schneiderin zu geben. Diese ist allerdings krank und empfiehlt eine andere Dame, die zwar eigentlich Polizistin ist, aber abends hinter der Ladentheke ihres Mannes, der einen Fischerladen betreibt, Schneiderdienste anbietet. Die Nummer wird weitergegeben und wenig später haben wir Gewissheit, dass diese Dame gerade in ihrer Wohnung ist und auf uns wartet. Also los!

In Chile Chico ist es extrem windig und wir sind froh, als wir bei der Polizistin/Schneiderin ankommen. Da ihr passendes Material fehlt, kann sie uns leider erst zwei Stellen flicken und wir entscheiden uns zu warten, damit wir das Zelt gleich am Abend wieder nutzen können. Im Wohnzimmer laufen derweil Kriminal- und Detektivserien und an der Garderobe hängt ihre Polizistenuniform. Als sie fertig ist verabschieden wir uns und bauen unser Zelt an einer einigermaßen windgeschützten Stelle des Campingplatzes auf.

Ganz in der Nähe von Chile Chico liegt der Nationalpark Parque Patagonia. Dort gibt es einen kurzen Wanderweg, den wir uns – trotz des hohen Eintrittspreises – nicht entgehen lassen wollen. Morgens stellen wir uns also mal wieder an die Straße und warten ein wenig, bis wir mitgenommen werden.

Auf der menschenleeren Wanderung kommen wir an unterschiedlichen Aussichten vorbei:

Tälern mit mächtigen Säulen,…
wenig lebendigen Tieren,…
Höhlen, die voll mit Händen sind,…
und weiten Blicken über das Valle Lunar!

Von Chile Chico fahren wir dann, natürlich per Anhalter, bis auf die berühmte Carretera Austral. Chiles wohl bekannteste Fernstraße reicht 1.350 km weit und wir haben vor, ein paar Naturwunder entlang der Route zu sehen. Unser erster Stopp soll also Puerto Tranquilo sein. Nachdem wir zunächst, wieder per Anhalter, bis auf die eigentliche Carretera Austral gekommen sind, werden wir noch die halbe Strecke bis nach Puerto Tranquilo mitgenommen, von einem älteren, sehr freundlichen Ehepaar, welches entlang der Strecke wohnt. Auf dem Weg nehmen diese sogar noch zwei Mädels mit, die sich allerdings als weniger freundlich herausstellen sollten. Normalerweise ist es nämlich so: beim Hitchhiken gilt das Wer zuerst kommt Prinzip. Wer danach kommt, soll sich also aus Fairnessgründen hinten anstellen. Da wir bereits länger im Auto waren, wären das demnach wir gewesen, die zuerst da waren. Bisher haben sich Leute zwar auch vorgedrängelt, aber wir wurden immer zuerst mitgenommen, weil wir nur zu zweit waren und die anderen oft Leute, die in großen Gruppen und ohne Erfahrung, wie hitchhiking funktioniert waren. Diesmal nicht. Die beiden Mädels sind, nachdem wir uns positioniert hatten, erstmal im Richtung Ziel gelaufen, was auch fair gewesen wäre. Irgendwann haben sie dann wohl realisiert, dass das bedeutet, dass sie nach uns mitgenommen werden und haben sich dann entschieden, dreist an uns vorbeizulaufen, und 30 Sekunden später eine Mitfahrgelegenheit zu bekommen. Wir haben dennoch nichts gesagt, weil man unfreundlichen Menschen bekanntermaßen oft nicht helfen kann und wir uns dachten, dass es dann eben dieses Auto nicht hatte sein sollen. Wenige Minuten später wurden wir dann von einem mehr als freundlichen Ehepaar aus Coyhaiyque aufgegabelt. Mit dieser kleinen Familie verstanden wir uns so gut, dass wir sie ein paar Tage später nochmals in Coyhaiyque trafen. Es sollte wohl so sein!

Ankunft auf der Carretera Austral, die zwar sehr berühmt aber zur Hälfte noch ungeteert ist

In Puerto Tranquilo angekommen, suchten wir uns wieder einen Campingplatz und ebenfalls eine Möglichkeit die Marmorhöhlen, die man nur mit dem Boot besichtigen kann, zu besuchen. Obwohl die Wetterprognose nicht optimal war, entschieden wir uns gleich eine Tour für den nächsten Tag zu buchen.

Das Wetter war mittlerweile sehr regnerisch und als wir die Tour begannen, wurden wir erstmal mit Regencapes ausgerüstet.

Blick vom „Hafen“ auf den Ortseingang von Puerto Tranquilo

Danach wurden wir auf ein kleines Schnellboot gepackt und 20 Minuten zum Beginn der Höhlenlandschaft gefahren. Der Regen hörte schnell auf und je näher wir den Höhlen kamen, desto ruhiger wurde das Wasser. Dann konnten wir die Höhlen erblicken!

Das weiche Marmorgestein geht bis in den See, der sich zu großen Teilen aus Gletscherwasser speist (daher die unreale Farbe). Über die Jahrtausende hat das Wasser ein Höhlensystem in den Marmor gefressen, der die wunderbare Tönung und Schichtung des Gesteins zum Vorschein bringt.

Marmor aus der Nähe
Mit dem Boot konnten wir sogar in die Höhlen hineinfahren
Aus manchen Winkeln konnte man gut Lebewesen in das Gestein interpretieren – hier einen Hundekopf

Manche Formation hatten sich auch gänzlich vom Festland gelöst. Das machte sie natürlich nicht weniger beeindruckend. Am äußersten Ende angekommen, drehten wir um und gleichzeitig setzte ein richtiger Starkregen ein. Die 20 Minuten Rückfahrt war demnach nicht wirklich angenehm, da das Wasser auch deutlich rauer war als auf der Hinfahrt. Daher waren wir froh, als wir wieder im „Hafen“ ankamen und unsere Augen wieder öffnen konnten.

Am nächsten Tag setzten wir unseren Hitchhiking Trip auf der Carretera Austral fort – diesmal war Cerro Castillo unser Ziel.

Diana beim Hitchhiken

Ein Radler, den wir bereits in Chile Chico getroffen hatten, kreuzte auch hier unseren Weg und klärte uns darüber auf, dass die Straße zwischen Puerto Tranquilo und Cerro Castillo aufgrund von Asphaltierungsarbeiten, täglich zwischen 13 und 17 Uhr gesperrt ist. Dies bedeutete, dass wir in den nächsten 10 Minuten eine Mitfahrgelegenheit bekommen mussten. Als der Radler sich aufmachte, fuhr auch schon ein Auto heran und nahm uns mit. Danach setzte der Regen ein und auf der, von Schlaglöchern übersähten Straße, begann ein kleines Wettrennen gegen die Zeit. Um 12.42 fuhren wir in die Baustelle und hatten somit Glück gehabt! Ungefähr eine Stunde später kamen wir in Cerro Castillo an. Dort bezogen wir wieder unser Zelt auf einem Campingplatz mit Aussicht – die sich allerdings noch hinter Wolken versteckte. Am Abend konnten wir jedenfalls eine erstaunliche Sicht aus dem Aufenthaltsraum heraus beobachten:

Schneesturm im Sommer – in Patagonien ist eben alles möglich

Nach einer kühlen Nacht sah es am nächsten Morgen jedoch schon deutlich besser aus:

Unser Zelt

Der Namensgeber von Cerro Castillo ist der gleichnamige Berg. Dorthin führt eine schöne Wanderung, doch wie überall in Chile muss man dafür einen hohen Eintrittspreis bezahlen. Darauf hatten wir keine Lust und haben uns am Morgen den Berg aus der Entfernung angesehen:

Der wolkenfreie Cerro Castillo
Ein Highlight des Campingplatzes war definitiv der Hund des Besitzers!
Und das gemütliche Matetrinken im Aufenthaltsraum

Es folgte ein historisches Hitchhiken für uns! Nach gerade einmal vier Minuten wurden wir mitgenommen! Ein absoluter Rekord! Dabei hätte es uns nichts ausgemacht, ein wenig länger an unserem schönen Spot zu warten:

Diana beim Hitchhiken, mit Cerro Castillo im Hintergrund
Unsere Rucksäcke auf der Ladefläche des Pick-Ups der uns mitnahm, im Hintergrund noch der Cerro Castillo
Auf der anderen Seite sahen wir noch den Schnee, den es am Vorabend hingeschneit hatte

In Coyhaiyque angekommen, legten wir erstmal eine kleine Pause ein. Nachdem wir in einer Wochen über 1.200 km per Anhalter zurückgelegt hatten, war dies auch notwendig. Wir trafen zum Beispiel die nette chilenische Familie an einem Nachmittag wieder und Diana konnte viel mit der kleinen Tochter der beiden spielen.

Josefa und Diana

Außerdem konnten wir uns hier mal wieder einen Restaurantbesuch leisten. Einmal gab es Pichanga, ein leckeres chilenisches Gericht.

Ein anderes Mal wurde die halbe Eisdiele gekauft:

In Coyhaiyque konnten wir also entspannen, aber auch administrative Dinge nachholen und abarbeiten. Das darf nunmal auch während einer Reise leider nicht unter den Tisch fallen.

Da wir mit der Fähre weiterfahren wollten, setzten wir unseren Hitchhiking-Trip nach Puerto Aysén fort und verließen somit die Carretera Austral. Das klappte, trotz Baustelle am angepeilten Abfahrtsort, sehr gut und wir unterhielten uns sehr intensiv mit unserem Fahrer. Er erzählte uns viele interessante Dinge und Hintergründe über die aktuelle soziale Revolution (wörtlich übersetzt):

Das Gespräch kam in Gang als wir an ein paar Windkraftanlagen vorbeifuhren. Unser Fahrer erzählte uns, dass auf allen politischen Ebenen Entscheidungen mit 2/3 Mehrheiten beschlossen werden müssen. Dies ist vor allem für Nischen eine sehr hohe Hürde, die die Fortführung des bestehenden Status Quo stützt. Danach floß die Kritik aus dem Munde unseres Fahres wie ein Wasserfall: die Renteneinzahlungen erfolgen bei der AFP-Bank, über die gesamte Erwerbszeit. Danach wird der gesamte Betrag genommen der eingezahlt wurde und auf die erwartete Lebensdauer des Menschen aufgeteilt. Das Problem hierbei ist, dass die AFP-Bank momentan davon ausgeht, dass jeder Mensch in Chile 110 Jahre alt wird. Das bei so einer Rechnung nicht viel Geld pro Monat übrig bleibt ist klar. Laut CIA Factbook werden die Chilenen im Durchschnitt übrigens 79 Jahre alt. Das restliche Geld verbleibt bei der AFP und kann in Form von Krediten an chilenische Unternehmen ausgeschüttet werden. Diese zahlen dabei 5% Zinsen. Wenn aber ein normaler Bürger einen Kredit beantragt, so muss dieser 40% Zinsen zahlen. Dies ist nur einer der vielen Auslöser, die das Fass der Ungleichheit in Chile zum Überlaufen gebracht haben.

In Puerto Aysén angekommen, begleiteten wir unseren Fahrer noch zum Mittagessen – Es gab echte Casuela, eine Suppe mit viel Fleisch und danach noch Linsen. Als wir später auf einem wunderschönen Campingplatz unser Zelt aufschlugen, trat das Undenkbare ein und wir wurden beide vom Heuschnupfen außer Gefecht gesetzt – und das in Patagonien! Trotzdem schafften wir es noch ein wenig entlang der Hauptstraße von Puerto Aysén zu flanieren und die berühmte Brücke der Stadt zu sehen:

Die Mini-Golden-Gate-Bridge von Puerto Aysén

Am nächsten Tag regnete es in Strömen – das ist wieder typisch Patagonien, das Wetter wechselt häufig und intensiv. Nachdem wir das Zelt zum trocknen aufgehangen, Tischtennis gespielt und gekocht hatten, fuhr uns der Zeltplatz-Besitzer ins nahegelegene Puerto Chacabuco. Von dortaus soll die 30-stündige Fähre auf die Insel Chiloe starten.