La Paz & El Alto, Teil 1

Am Montagmorgen (01.06.20) wachen wir zu einem mechanischen Surren außerhalb unseres Hostels auf. Ein wenig verwirrt öffnen wir die Vorhänge und uns bietet sich ein ungewohnter Anblick: der Teleferico läuft! Vor unseren Augen schweben die Gondeln der gelben Linie entlang und sind das Zeichen für uns, dass die Quarantänebeschränkungen nach über zwei Monaten gelockert wurden. Leider können wir an diesem Tag noch nicht das Hostel verlassen, da der Hostelbesitzer nicht fähig war, seinen Ankündigungen nachzukommen und im Hostel zu erscheinen. Da wir das Hostel nicht alleine lassen wollen, verbringen wir den ersten Tag an dem wir nach draußen dürfen frustriert auf unserem Balkon und schauen den Teleferico-Gondeln beim Hinauf- und Hinunterfahren zu.

La Paz

Am nächsten Tag können wir jedoch das erste Mal zusammen das Hostel verlassen und uns die Stadt ein wenig genauer ansehen. Zuerst erledigen wir ein paar organisatorische Dinge ehe wir uns dem Erlaufen und Erfahren der Stadt widmen. Wir passieren den touristischen Teil der Stadt, der jedoch vollkommen verlassen ist. Die meisten Reisenden haben wohl den Rückzug angetreten und die Rückflugangebote der jeweiligen Botschaften wahrgenommen. Die Ladenbesitzer sind ein wenig verwirrt uns zu sehen und jeder spricht uns persönlich an. Wir sind ja auch die einzigen beiden Menschen in der leeren Straße – selbstverständlich mit Ausnahme der Ladenbesitzer. Alle haben die ersten Tage seit zwei Monaten offen und müssen nun den finanziellen Schaden der vergangenen Wochen wieder ausgleichen.

Plastische Street-Art am Eingang des touristischen Viertel
Die verlassenen Straßen im Touristenviertel – nur wenige Läden haben geöffnet
Ein Ladenbesitzer wird tatkräftig durch seinen Hund unterstützt

Beim weiteren Durchstreifen der kleinen Gassen fallen uns viele Street-Art Kunstwerke auf:

Ein Vicuña gewinnt selbstverständlich gegen Superman. Ganz normal.
Der Andencondor über der Wiphala-Flagge, die einige indigene Andenvölker in Bolivien, Peru, Argentinien, Chile, Ecuador und Kolumbien repräsentiert
Ein Lama im anderen Stil
Eine singende Cholita

Wir laufen durch den Mercado de las Brujas (Hexenmarkt) – oder zumindest die drei Stände die sich nach der Quarantäne zur Wiedereröffnung entschlossen haben. Hier können allerlei Dinge für rituelle Opfergaben oder alternative Heilmittel gekauft werden. Besonders markant sind jedoch die mumifizierten Lamababys, die als Opfergaben genutzt werden.

Immerhin noch mit erhobenem Haupt!

Dann ist es endlich soweit! Nachdem wir uns beim Mittagessen für unglaubliche 10 Bolivianos (ca. 1,40 €) eine Suppe und eine Hauptspeise gönnen durften, geht es zum Teleferico. Nachdem wir uns am Eingang die Hände desinfiziert haben, eine Karte gekauft haben und brav unter Berücksichtigung des geforderten Sicherheitsabstands angestanden sind, steigen wir in eine Gondel der lila Linie und schweben schon bald über die Dächer der Backsteinhäuser in Richtung El Alto!

Einstieg!
Bereit für unsere erste Teleferico-Fahrt
Schon schweben wir über den Dächern der Backsteinhäuser von La Paz in Richtung El Alto – auf dieser Fahrt werden in 8 Minuten knapp 500 HM überwunden
Der Blick von El Alto auf La Paz – im Hintergrund ragt der mächtige Illimani auf, ein Berg der vor allem Lucas sehr fasziniert

Nachdem wir den Blick von El Alto auf La Paz genießen konnten, fahren wir mit der gelben Linie zum Hostel zurück.

Für uns steht längst fest, dass der Teleferico das beste Transportmittel der Welt ist: er ist deutlich leiser als Auto- oder Busverkehr, es müssen keine unterirdischen Schächte geschaffen werden (wie bei der U-Bahn; was in La Paz aufgrund des Gesteins auch nicht möglich wäre), die Taktung ist sehr hoch und der Blick in diesem Falle ist einmalig (sowohl auf die Berge als auch auf die Dachterrassen vieler Menschen).

Nachdem wir in den vorangegangenen Wochen immer alleine auf dem Mercado Rodríguez waren, können wir nun endlich zusammen über den größten Lebensmittelmarkt der Stadt schlendern. Dieser bietet einen großartigen Blick auf die Hänge des Tals, die voll mit Backsteinhäusern bebaut sind.

Die Gemüsesektion am Mercado Rodríguez
Fleisch gibt es natürlich auch

Selbstverständlich nutzen wir das Seilbahnsystem in den folgenden Tagen noch einige Male. Dabei können wir viele Ecken der Stadt sehen und viele unterschiedliche Perspektiven einnehmen.

So schweben wir bspw. über das Viertel Chualluma in dem fast alle Häuser bunt angestrichen wurden
Dort finden wir auch Straßenkunst – Libertad (Freiheit)
Mit der gelben Linie passieren wir das Stadion des FC Bolívar – der Tribünenbereich ist jedoch mangelhaft, weswegen in einem anderen Stadion (mit dem Erzrivalen The Strongest) gespielt wird
Mit der grauen Linie sehen wir einen der unzähligen Betonbolzplätze. Wenn der Ball hier über den Zaun geschossen wird, macht die Suche wahrscheinlich nicht so viel Spaß
Das Stadtzentrum von La Paz – unter der goldenen Kuppel verbirgt sich ein Sportkomplex

Den besten Blick über La Paz kann man von einem Aussichtspunkt in El Alto genießen – das Panorama erstreckt sich dabei vom nördlich gelegenen Huayna Potosí bis zum Wächter der Stadt, dem Illimani.

Das Stadtpanorama von Norden (links) nach Süden (rechts)
Blick auf die abertausenden Backsteinhäuser
Etwa 25km (Luftlinie) hinter den Stadtgrenzen von La Paz und El Alto erhebt sich der Huayna Potosí mit stolzen 6.088 Höhenmetern

Um am schnellsten aus dem Zentrum von La Paz nach El Alto zu kommen, nimmt man am besten die lila Linie. Diese heißt Corazón a Corazón (Herz zu Herz) und wird so genannt, weil sie von Stadtzentrum zu Stadtzentrum führt.

El Alto

Früher war El Alto ein Stadtteil von La Paz, heute jedoch hat die höher gelegene Stadt, mehr Einwohner als ihr Nachbar im Kessel. El Alto unterscheidet sich jedoch stark vom niedriger gelegenen Verwaltungssitz. Es liegt nicht im Tal, sondern bereits in der Altiplano-Hochebene und somit circa 500 HM höher auf sagenhaften 4.150 HM. So weit oben ist es durchschnittlich 2 Grad kühler als in La Paz und darüber hinaus auch deutlich rauer und windiger.

Wir verbringen ein wenig Zeit in El Alto, denn hier gibt es die größte Feria Südamerikas – ein riesiger Freiluftflohmarkt der sich über 5 km durch die breiten, Schachbrettstraßen der Stadt erstreckt. Hier findet man alles was das Herz begehrt: Elektronik neben Klamotten, Autos- und Zubehör neben Metzgern und alles in allem sehr viel unterschiedliche und bunt zusammengewürfelte Ware. Darüber hinaus ist der Markt auch ein ziemliches Gewusel, trotz bestehender Abstandsregelungen. El Alto ist eine sehr arme Stadt und die vorher herrschenden Regeln konnten größtenteils nicht eingehalten werden, da die VerkäuferInnen ihren Lebensunterhalt finanzieren müssen.

Der Teleferico bietet selbstverständlich einen großartigen Blick auf das Markttreiben
Diana hat mittlerweile einen schöneren Mundschutz gefunden – das Tragen ist im öffentlichen Leben Pflicht, jedoch nicht alle halten sich daran
In ganz La Paz und El Alto treffen wir viele Cholitas – das sind indigene Frauen in Bolivien, die eine bestimme Kleidung tragen: eine viellagige Schicht Röcke, einen Strickpullover und ein Tuch

Der riesige Markt erstreckt sich bis an die Stadtgrenze – eine natürliche Grenze, die den Abhang zum Tal nach La Paz darstellt. Hier geht es steil herunter, der Blick ist dafür großartig.

Direkt hinter den Händlern geht es recht steil nach unten

Der Teleferico bietet einen guten Blick auf einige der Balkon die genau an solchen steilen Stellen sind. Dabei wird uns beim bloßen Anblick schon ganz anders.

Einige der Balkone haben nicht mal eine Mauer bzw. ein Geländer

Unsere Blicke bleiben jedoch konstant am großartigen Ausblick auf La Paz und die umgebenden Berge hängen. Davon können wir einfach nicht genug bekommen.

Blick auf den Huayna Potosí
Natürlich haben wir immer (brav die Vorgaben befolgend) unseren Mundschutz auf
Diana beim Ausblick – diesmal mit einem waschbaren und vor allem schönen Mundschutz

Eine der Seilbahnlinien in El Alto (blau) thematisiert ein bolivianisches Kollektivtrauma. Im Salpeterkrieg (Guerra del Pacífico) zwischen Bolivien und Chile der im Jahre 1883 endete, verlor Bolivien seinen Meerzugang. Der Gedanke, dass das Meer zu Bolivien gehört wird jedoch (bspw. in Schulen) sehr stark in das Gedankengut der Menschen verankert. So trägt die blaue Linie des Telefericos Zitate in den Gondeln, wie dieses:

„Unsere Forderung ist gut vertreten. Für die Geschichte, für die Gerechtigkeit und für das Recht werden wir eines Tages mit Souveränität an den Pazifischen Ozean zurückkehren.“ Dieses Zitat stammt vom Ex-Präsidenten Evo Morales

Der Verlust des Meerzuganges ist ein Stachel der immernoch tief sitzt – dies wird jedoch auch indoktriniert. Die Bolivianer sind zumeist nicht gut auf Chilenen zu sprechen und wir haben Chilenen kennengelernt, die sehr schlechte Erfahrungen in Bolivien gemacht haben. Oft wird dieser kollektive Feind aber auch genutzt, um von den eigenen internen Problemen abzulenken.

Kampf gegen Windmühlen oder Erfahrungen mit den bolivianischen Autoritäten

Eines dieser Probleme liegt zum Beispiel im Verwaltungsapparat. Eine Bolivianiern im Hostel meinte, dass es unter Morales zwar nicht besser war, aber man wusste wie das System funktionierte und konnte sich dementsprechend an die Regeln anpassen. Nun, da die neue Präsidentin regiert, weiß man nicht einmal mehr, wie das System funktioniert. Dies merken wir auch.

Wir haben uns entschieden noch einmal zu probieren nach Rurrenabaque zu reisen. Da es immernoch keine Flüge gibt, wollen wir es noch einmal auf dem Landweg probieren – es scheint, dass wir die Strapazen der letzten Reise schon gut verkraftet haben. Von ein paar Franzosen, die die Reise nach Rurrenabaque erfolgreich bewältigt haben, erhalten wir wichtige Infos und Nummern von Grenzbeamten und Militärs, die uns potenziell dabei helfen können, ebenfalls dort anzukommen. Bei der Ankunft erwarten uns in jedem Fall nochmal zwei Wochen ultra-strikte Quarantäne in einer leerstehenden Schule.

Wir kontaktieren also den Militär, der an der Grenzstation von Rurrenabaque positioniert ist. Er empfiehlt uns, dass sich Andrés, der Organisator von ONCA an ihn wenden soll. Wir folgen dem Rat und fangen an alle notwendigen Dokumente für die Reise zu organisieren. Die Dokumente von ONCA, dem Hostel in La Paz und der Deutschen Botschaft bekommen wir ohne Probleme. Schwieriger gestaltet sich das Dokument Certificado Médico. Dieser Wisch soll belegen, dass wir keine Symptome des Viruses aufweisen. Keine schwierige Sache, sollte man meinen.

Wir kontaktieren verschiedenste Einrichtungen des bolivianischen Gesundheitsystems, das im Moment jedoch komplett überfordert ist. In La Paz gibt es bspw. 10 Intensivbetten für PatientenInnen mit dem Virus, die eine künstliche Beatmung benötigen. Die Stadt hat jedoch (zusammen mit El Alto) circa 1,5 Millionen Einwohner – die Definition von starker Unterversorgung. Um das Zertifikat zu erhalten, benötigen die Gesundheitszentren jedoch eine Autorisierung vom SEDES, dem Gesundheitsministerium. Diese werden jedoch im Moment nicht ausgestellt, womit es quasi unmöglich ist ein Zertifikat zu erhalten. Um Informationen zu erlangen, besuchen wir das SEDES.

Viele BürgerInnen sind nicht zufrieden, wie die Situation vom SEDES bewältigt wird und protestieren im Stillen und äußern ihre Meinung auf Plakaten vor dem Gebäude

Nachdem am Gebäude ein Schild hängt, dass man sich für Zertifikate an eine Dame im zweiten Stock wenden muss, steuern wir zielstrebig auf ihr Büro zu. Dort werden wir zunächst von einer wenig freundlichen Mitarbeiterin angepampt, dass momentan keine Zertifikate ausgestellt werden. Wir wollen es aber genauer wissen und warten, bis die Dame uns empfängt. Jedoch kann sie uns auch keine Infos geben. Enttäuscht kehren wir zum Hostel zurück. Dort hilft uns jedoch einer der Besitzer weiter, denn er hat einen befreundeten Arzt, der uns ein inoffizielles Zertifikat ausstellen kann – ohne Untersuchung. Am nächsten Tag hören wir im Fernsehen, dass einige Mitarbeiterinnen des SEDES in Hungerstreik gegangen sind, da sie vom Staat überfordert werden.

Schlussendlich haben wir alle Dokumente zusammen (sogar eine Reiseerlaubnis haben wir wieder bekommen) und bereiten uns auf die nächtliche Abreise vor. Abends schreibt uns jedoch Andrés, dass wir noch nicht losfahren sollen, da sich der Militär an der Stadtgrenze von Rurrenabaque querstellt und meint, dass AusländerInnen nicht mehr in die Stadt dürfen. Wir sagen also unserem Fahrer Fernando Bescheid und gehen frustriert ins Bett.

Auch die nächsten Tage versprechen keine Besserung. Die Autoritäten der Stadt wollen diese am liebsten hermetisch abriegeln und lassen später verlauten, dass die Quarantänekapazitäten erschöpft sind und deshalb niemand mehr nach Rurrenabaque kommen darf. Das frustriert uns natürlich noch mehr und wir kontaktieren die Deutsche Botschaft nochmal, um die Lage einschätzen zu können.

In der Deutschen Botschaft arbeiten sehr kompetente Menschen. Eine der Damen dort, die uns bislang immer sehr stark unterstützt hat, findet jedoch sehr eindeutige Worte und rät uns das Land zu verlassen, da im August der Kollaps in Bolivien erwartet wird – im Gesundheitssystem wie auch politisch. Wir sind ein wenig über die Deutlichkeit der Aussage schockiert und überlegen wie es weitergehen soll. Wir haben schon so lange gewartet, damit wir endlich in den Dschungel können, doch haben wir in der Zwischenzeit viel über Bolivien gelernt und schätzen die Lage nun anders ein, als noch vor ein paar Wochen. Nach ein paar schwierigen Stunden entscheiden wir uns den Traum vom Arbeiten mit Affen und Ozelot jedoch vorerst auf Eis zu legen. Wir sehen nicht, dass sich die Lage im Umgang mit dem Virus in den nächsten Wochen (und Monaten) entspannen wird. Wir sehen auch nicht, dass sich Rurrenabaque demnächst für AusländerInnen öffnen wird, geschweige denn, dass sich die Mentalität der Menschen schlagartig ändern wird. Wir haben es also nicht geschafft, trotz allem in unserer Macht stehendem zu tun, zur ONCA zu kommen. Nun geht es daran einen Rückflug nach Deutschland zu organisieren und somit das Ende unserer Reise einzuläuten.

Vor wenigen Tagen wurden dann auch die ersten Fälle aus Rurrenabaque vermeldet. Wir wollen uns gar nicht vorstellen, wie die Behörden dort nun reagieren und handeln und sind auch ein wenig erleichtert nicht dort zu sein im Moment. In La Paz wurde ebenfalls verkündet, wieder in eine strengere Quarantänenform zu gehen. Dies bedeutet, dass abwechselnd nur Leute mit gerader oder ungerader Endziffer im Pass das Haus verlassen dürfen. Die Lockerungen wurden dementsprechend wieder zurückgenommen und wir dürfen nur noch jeden zweiten Tag das Hostel verlassen. Die Suche nach Rückflügen ist also im vollen Gange.

3 Gedanken zu “La Paz & El Alto, Teil 1

  1. Interessant, hier in Deutschland von dieser fremden Stadt zu lesen und Bilder zu sehen.
    Mir ist die neue Mundmaske gleich aufgefallen! 😀 Wie bist du daran gekommen? Ist dieser Burda-Schnitt etwa bis in die Weiten Südamerikas durchgedrungen? *kleiner Scherz*

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